Tagebuch-Aufzeichnungen zur Strich-
Aktion und
zum Gefängnisaufenthalt
in Bautzen
Diese Aufzeichnungen sind einige
Tage nach der Haftentlassung entstanden.
Einige Informationen darin sind
aus Notizen verwendet, die ich in der Haft angefertigt und später
mit meiner Freilassung in Tabakverpackungen herausgeschmuggelt hatte.
Die Namen
Der Dicke: Thomas Onißeit
Willi: Frank Willmann
Onne: Jürgen Onißeit
Schuster: Frank Schuster
Ich: Wolfram Hasch
Lügenmax: Würfelspiel
Minna: Gefangenentransporter (Kleinbus)
Brusthugo: Fauststoß auf die
Brust (Gefängnis-Slang)
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Montag 3.11. ziehen wir einen Strich am Schutzwall
lang. Gutes Feeling, wärmende Sonne im Frost. Willi sieht am Lustigsten
aus, der Dicke produziert sich. Am Check-Point ein spannender Schlagabtausch:
Die Ostgrenzer stellen sich vor den Schutzwall und wir, der Dicke, Willi,
ich, sitzen auf der Mauer einer Westberliner Autoreparatur, lassen uns
frontal ablichten. Wir warten, bis die Grenzer, die uns inzwischen die
Farbe geklaut haben, abziehen. Dann ziehen sie ab und wir springen runter.
Einen Eimer ham wir noch. Ich halt ihn, Willi zieht den Strich in "krimineller"
Hektik, ich guck immer hinter zum Check-Point. Wahrscheinlich haben die
Grenzer hier zum ersten Mal einen Krisenstab durchgeführt mit dem
Ergebnis: Nicht einschreiten und an günstiger Stelle abgreifen. So
die Götter wollten. Wir ziehen weiter und zelten im pisskalten Tiergarten.
Gutes Feeling, Lügenmax und alle stockbesoffen. Um nicht ins Zelt
zu brechen mach ich noch einen Abstecher in den Frost und ruf Pia von der
Potse aus an, zum vorletzten Mal ! Sie ist müde und wirkt auch so.
Auf dem Heimweg komm ich an der Philharmonie vorbei, such ne Telefonzelle.
Die Philister fülüstern über Ebengesehenes. In meinem abschaumigen
Aufzug (weiss verschmierte Lederjacke) fühl ich mich fehl am Platz.
Dann in der Potse eine Telefonzelle, dann zurück, der Dicke pennt
schon, Schuster ist spurlos verschwunden. Bin grad am Einschläfern,
als Willi und Onne kommen. Versuch mich noch einzufinden in ihre Sphäre,
aber zu müde. Dann Schlaf. Schuster kam noch - um wieder zu gehen.
Aus einem Cafe - nach Hause. Naja, so war das nicht gemeint mit dem Überlebenstraining
durch die Wüste Berlin, Schuster nimmt eine billige Pension.
Früh jähes Erwachen im Klammen,
türkischer Cafe mit Trockenbrot. Schuster is noch nich. Ich ruf ihn
an
und provozier sein Gewissen.Pia ruf ich auch an. Soll Gasrevolver mitbringen,
für die Skins im Wedding, den wir heute erreichen wollen.
Am Touristenstand kann man/frau usw
Karten kaufen von Mauerbildern und bösartigen Grenzern. Ich kauf mir
stattdessen einen Cafe, der gut wärmt. Wir sind noch drei, Willi,
Onne, ich - der Dicke ist zur Fahrstunde. Dann weiterziehen, Linie um Drahtgelände.
Ich schieb zunächst den Wagen. Dann schiebt Onne ihn. Ich male zuerst
noch am Draht. Guck immer nach rechts, wann die anderen kommen. Kommen
nicht, sondern verschwinden im Wald.. Dann taucht Willi auf. Zehn,fünfzehn
Meter fängt er neben mir an zu malen.
"Stehenbleieben oder wir schiessen"
Gespreizt an der Wand, Taschen ausleeren,
umdrehen. Foto mit Maske, Foto ohne Maske. Widerliche Blicke. Ab durch
die Tür. Einer fühlt sich durch meine Anwesenheit besonders provoziert.
"Weiter auseinander, die Hände - und die Beine - Pisser, Mistschein".
Ruhig bleiben meine Devise. Ich geb mein letztes in der Kunst des Spreizens,
krieg noch einen Sackhuf und dann ab in den Barkas. Der Widerling sitzt
vor mir auf der Sitzbank und klopft mir den Kopf ins Sitzpolster, damit
ich nichts sehe. Ich erwähne, daß ich ihn nicht provozieren
wolle,er erwähnt "Noch ein Wort, dann kriegst Du eins in die Fresse."
Ich mach ihn (den Mund, d.Verf.) endgültig zu. Dann hält der
Barkas und mein Liebling schubst mich die Treppe hoch in einen kleinen
Zwinger und verscwindet im Nichts. Zuvor bemerkt er noch auf seine Art,
ich solle den Kopf nichf bewegen und die Maske auflassen. Dann Totenstille
und Leichen-
starre und ich weiss nicht, wie mir zumute
ist. Dann raus zur Erstverneh-
mung und endlich friedliche Gesichter. Ich
lass mir vier Falschnamen ein-
fallen,präg sie mir ein und rauche
eine Cabinet. Dann kommt der Revolver-
held rein und ich erwähne, wir kennen
uns und er, wir werden uns noch kennenlernen.
Sie stellen fest, daß ich bei ihnen
aufwuchs und im Knast saß. Wir fahren mit dem Barkas durchs Brandenburger
Tor, wo Touristen stehen und jetzt wohl denken, da haben sie einen auf
der Flucht geschnappt. Dann unter den Linden, Palast der Republik und City.
Ich geniesse die Aussicht, die schöne Aussicht. Ins Bullenkrankenhaus,
Blutprobe, Alk-Probe, Schriftprobe mit dem Satz "Heute ist ein schöner
Tag". Dann ab zur Stasi."Wir sind von der Volkspolizei ( Lüge ! )
und führen jetzt eine Befragung durch."
"Ohne Cafe und Essen kein Wort"
Verschwinden. Kommt wieder und meint gleich
gibts was.
Fängt an zu fragen und ist mir unsympathisch.
Nach fünf Minuten merk ich, daß immer noch kein Cafe da ist
und ich verwarne ihn und sag ihm, daß ich nichts sage. Dann bringt
er Selters (angemessen), später Cafe und Brötchen.
Er befragt mich.
Im Wesentlichen will er wissen, welcher
Geheimdienst dahintersteht und wieviel Geld ich dafür kriege,. Ich
muß meine falschen Namen wiederholen und unseren Weg vom Mariannenplatz
bis zur Festnahme schildern. Naja, das wissen die Grenzer ja sowieso genau,
nur eben für welchen Geheimdienst wissen sie nicht und werden sie
auch nie wissen, da es ja keinen gab, der dahintersteckte..
Mitunter stellt er sinnlos nervende Fragen,
aber gut giftig dabei.Er fragt mich so, wie man einen Partisanen fragt.
Ich versuche, banal zu wirken, sinnlos, weil ich bei denen vorbestraft
bin. Im Stillen denke ich, Paagraph 213, 2 Jahre, davon sitz ich eins,
also keine Panik.
Dann um neun liest er Haftbefehl vor : 213,
Absatz 3, ...bis 8 Jahre. 8 !!! Zuviel des Guten Ich mach die Augen zu
und atme tief, dann laß ich mich einfach fallen. Er hebt mich auf.
Immer noch Augen zu. AlLe Unbesorgtheit schmilzt weg, Körper taub,
aber beherrscht. Pia, Kind, alles von vorne, 8 Jahre, der Westen ein kurzer
Traum. Alle Wege enden bei Euch.
Ich heule, spontan und von Herzen, sage
nichts mehr, obwohl er weiter dumm fragt. Ich beantrage heulend eine Heulpause,
er gibt mir fünf Minuten, ich heule so herzhaft, zuerst grausam, dann
befreit, und immer wieder.
Dreh mir eine und trink Cafe, geb meine
Schreib- und Besuchsadresse an.Dann kommen drei Typen, Schmuck ab, Handschellen
an, in die Minna. Ich bin irgendwie befreit und der Tag hat mich ausgefüllt.
Die Verhaftenden sind freundlich.
Die erste Nacht in Einzelzelle ist grausam.
Die Befreiung ist weg und von allzu bekannten Gerüchen, Geräuschen,
Farben und Regeln werde ich erdrückt. Das kann doch nicht wahr sein.
Nächsten Tag in völlig apathischem
Zustand Fotos, Fingerabdrücke machen und Haftbefehl vorlesen lassen.
Alles im fertigen Trance-Zustand.
Ein neuer Vernehmer, ruhig, nett. Der Widerling
von letzte Nacht erscheint nochmal kurz und ich geb ihm zu verstehn, daß
mir der neue Vernehmer wesentlich sympathischer ist.
Mit dem Neuen komm ich gut aus. Er war ursprünglich
Sachse und ist ziemlich ruhig. Allerdings sein Chef ein Widerling, den
ich darauf hinweise, daß ich keine Wachsfigur zum Anglotzen bin.
Wir nehmen die Grenztruppen-Dokumentation
durch. Bilder und Bericht. Denen ist nichts entgangen.. "Am Abend zogen
sich die Provokateure ins Westberliner Hinterland zurück." Partisanenkriegsbeschreibung..
Auf Zelle nach zwei Tagen grauer Einzelhaft
dann mit Rene M., Wir machen Plastemusik.
Dann erster Besuch mit Pia. In der Minna
in Handschellen rüber nach Lichtenberg. Unvorstellbar, daß Pia
hier sein soll, in Ostberlin zu Besuch im Stasi-Knast. Dann ist sie da,
etwas verstört, zwei Gestapo-Leute sitzen dabei. Ich merke, daß
alles komisch sich anfühlt. Dann Kuss, Tschüss, Ende.Nächster
Besuch Wochen später viel lockerer. Richtig "privat", Der Vernehmer
ist ruhig und stört nicht. Guck mir Bilder an, die Pia mitgebracht
hat. Zwischendurch auch noch Besuch von Starkulla. Ein affektierter Hirni.
Auf sowas bist Du angewiesen.. 5 Minuten Besuch. Sagt, ein Jahr müsste
ich absitzen, fragt, warum ich nicht abgehauen bin.
Auf Zelle krieg ich meinen Magentee, damit
kein Schrei aufkommt. Inzwischen mit einem Vietnamesen und einen 19jährigen
R-Flüchtling zusammen. Nach einer Woche Wechsel, am 10.12. Einzelhaft,
grausam,wieder allein zu sein.
Dann mit Lenkisch . 60 Jahre, topfit, in
den rumänischen Bergen aufgewachsen, nach Nazideutschland gelockt,
HJ, Front, Desertation, Ostberlin, Frau und Kind, dann Spionage CIA,
fährt ein, 11,5 Jahre, sitzt davon 7 ab, vier davon in Brandenburg.
Kommt raus, Frau beknackt, neue Frau mit Kindern, macht sich als Schneider
selbständig und baut sich Haus, Oase in Kloake, abgeschieden.
Kinder von Frau versuchen R-Flucht, so sitzt
er wegen Beihilfe, weil er sie zum Flughafen gefahren hat,von dort sind
die nach Ungarn.
Von ihm konnte man was lernen. Noch kaum
senil.
11.Dezember kommt Betreuer Nelius.. Ganz
nett, aber ich bin leer. Danach Fressorgie. Schokolade, Apfelsinen etc.
8.Januar Verhandlung: Starkulla riecht festlich
und zeigt auf RIAS-
Männchen. Die müssen bald gehen.
Ein Lächeln zu Pia. Dann alles recht locker. Ich bleib sachlich, sicher
und angstlos. Der Staatsanwalt ist ruhig, die Richterin eine affektierte
Tante. 1,8 Jahre wird beantragt, um zwölf gehts zurück in Minna
nach Hohenschönhausen, Mahlzeit und wieder nach Lichtenberg. ARD-Auflauf,
Pia kommt etwas später rein, da verließt die Richerin 1,8 plus
1,6 (=3,2). Pias Gesicht geht runter, ich ruf, es sei nicht so schlimm,
worauf ich vom links stehenden Bullen einen Brusthugo abfasse.
Zur Begründung des Urteils verlassen
alle den Saal. Während begründet wird, ist mir langweilig, nur
bei "verwendete der Angeklagte seine ganze kriminelle Energie" muß
ich lachen. Endlich sind sie fertig. Pia kommt rein und ich drück
den Kopf an ihren Bauch, wo Anatol drin schwimmt. Ich sitz auf dem Anklagestuhl,
sie steht. Wir reden ein bischen und küssen uns ganz lieb und ich
sag ihr, ich sitz das nicht ab. Sie ist total lieb, allein ihr Blick. Irgendwie
fühl ich mich gut. Verhandlung gut gepackt, meine "Aufgaben" warten
Zurück nach H-Schönhausen. Erzähl Lenkisch alles. In den
folgenden drei Wochen, die ich noch in Ostberlin hänge, werde ich
sensibel. Liegt auch daran, daß Pia immer von 3 Jahren schreibt.
Letzter Besuch mit ihr 27.1. Zwei Stasi-Typen, u.a. der Chef meines Vernehmers.
Pia wirkt so abgefunden, ich fühl mich für die nächsten
drei Jahre gefressen, der Vernehmer provoziert rum. Ich sag Pia, alle könnten
mich am Arsch lecken. "Meinen sie uns damit"- "Alle, die mir Scheisse erzählen"
Ich glaub an keinen. Ich heule, weil ich an Anatol denke. Ich wünsche
Pia eine schöne Geburt. Pia in Ostberlin zum Stasi-Knast-
Besuch, eine seltene Empfindung. Zwei Tage
später fahr ich nach Bautzen. In der Minna (allein) kotzt es mich
an, dass wir so weit fahren. Ich wollte nach Rummelsburg, weil es dort
ganz gut sein soll, aber jetzt fahren wir nach Cottbus oder Karl-Marx-Stadt
oder ? Vorbereitet auf einen ätzenden Vollzug komm ich in Bautzen
an. Ohne Filzung und Aufnahmeprozedur, rein in eine Zweimann-Zelle. Radiolautsprecher,
Fenster durchsichtig, Bilderrahmen, Tauchssieder, richtig gemütlich.
Der Mensch, der mit auf Zelle ist, ist gerade arbeiten, aber seine Utensilien
zeigen mir, daß ich im Westknast bin.. Willi, der Hausarbeiter, begrüßt
mich- er hat lebenslänglich und in seiner muffenden Wäschekammer
besorgt er mir das nötige.
Die 25 westdeutschen Gefangenen haben hohe
Strafen und dagegen sind meine drei Jahre wie ein paar Wochen. Die meisten
snd stinkbürgerlich, weder wirklich politisch noch kriminell. Eben
westdeutsche Professionstäter. Es ist ganz interessant, diese Prototypen
kennnenzulernen. Der Typ in meine Zelle ist nett und nicht blöd, hat
15 Jahre und ist vom BND. Ein aufsteigender Dandy, jetzt bis auf weiters
im letzten Loch. Ich leb mich ein und organisier mir einen Pennplatz quasi
unterm Waschbecken.
Carsten, Ritschi und Battke sind drei Fluchthelfer,
bis auf den Rheinländer Battke ehemals Ostberliner und noch am besten
drauf. Mit Ritschi mal ich öfters Aquarell. Außerdem hab ich
in meinem Arbeitskarton Schreibzeug und laufend fällt mir was ein.
Kreislaufstörungen und Muskelzuckungen
sind normal.Gewohnheitssache.
Ich sondere mich von fast allen ab, um mich
gar nicht erst ans Opfer-
bewußtsein zu gewöhnen und dumm
mitzumischen. Bis auf Zellenmitbewohner Prembach und die drei Jungs hab
ich null feeling zu den anderen. Wir klopfen sehr oft Skat.
Erster Besuch mit Pia fällt aus, zweiter
im April. Kein Neid, dass sie wieder nach Berlin fährt. Ich bin halt
hier. Sie ist cool und apathisch, lustlos. Macht nichts.
Ich hatte mich auf drei Jahre eingerichtet,
diese zu packen. Und mir gings in Bautzen gut. Ich war kompromisslos, unfreundlich
und bei mir. Kein Bulle kam mir zu nahe. Meine Widerstandskraft war ungebrochen
und hat mir gerade erst Power gegeben.
Am 20.Mai gings in die ätzende Abschiebehaft
und am 18.6. nach Hause, Frühes Ende !
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